Mehr Mut bei den Ausschreibungen!

13. Januar 2021

Wie können öffentliche Ausschreibungen im IT-Bereich visionäre Neuheiten hervorbringen, wenn sämtliche Anforderungen in einem Lastenheft aufgelistet sind? Um wirklich innovative Softwareentwicklungen einzukaufen, sollten Verwaltungen lieber auf kreative, iterativ arbeitende Teams setzen und sich mutig von althergebrachten Prozessen trennen. Ein Lösungsvorschlag. 

Alle Organisationen der Öffentlichen Hand sind verpflichtet, es zu tun: Neue Aufträge vergeben sie in der Regel anhand von transparenten Kriterien entlang einer Öffentlichen Ausschreibung. Rund 700.000 sind es pro Jahr, wie die Aggregationsplattform Deutscher Auftragsdienst ermittelt hat - stellvertretend für Milliarden-Investitionen in (digitale) Infrastruktur. Insofern ist die Idee gut, das wirtschaftlichste, beste und nachhaltigste Angebot im Sinne der Steuerzahler:innen oder Kund:innen zu ermitteln. 

Allerdings ist es fraglich, ob über diesen Weg tatsächlich stets das beste zukunftsgerichtete  Angebot gefunden werden kann. Insbesondere in der Entwicklung von Individualsoftware - dem Feld, in dem wir uns bewegen. Es fängt damit an, dass spannende Themen genauso leicht zu finden sind wie eine Nadel im Heuhaufen. Es herrscht eine sehr große Informationsasymmetrie zwischen Auftraggebern und potenziellen Dienstleistern: Agenturen wühlen sich durch tausende Ausschreibungen, um gute potenzielle Aufträge zu finden.  Auf der anderen Seite erhalten Auftraggeber eine Vielzahl von Bewerbungen und haben Mühe, einen qualifizierten Partner für digitale Vorhaben auszuwählen. 

Diese sogenannte Informationsasymmetrie führt zu folgenden strukturellen Problemen:

Das Ausschreibungsprozedere stärkt bestehende Strukturen

Auftraggeber haben die Verpflichtung, leistungsfähige und effizient agierende Dienstleister zu finden, um verantwortungsvoll mit Steuergeldern umzugehen. So weit, so gut. Doch was schon bei fest umschriebenen Projekten schwer ist, etwa einem Flughafenbau mit klaren Leistungskriterien, wird bei der Entwicklung von neuen kreativen Softwareprojekten ungleich herausfordernder. Es ist nur bedingt sinnvoll, den Preis bei Digitalprojekten als dominierendes Vergleichskriterium einzusetzen.  Denn Auftraggeber können bei neuen Softwareprojekten zwar ihre Problemstellung definieren, der Weg zur Problemlösung (Leistungskatalog) ist in solchen Projekten hingegen Teil der Arbeit und wird im Laufe des Projektes erarbeitet. Somit ist der Preis nicht auf Heller und Pfennig vorherzusehen und zugleich ist es wichtig, Entwickler:innen Freiraum einzuräumen, denn nur so können kreative Lösungen entstehen.

Auch Projektreferenzen sind nur ein bedingt geeignetes Auswahlkriterium. Sie beziehen sich immer auf Geleistetes in der Vergangenheit. Somit sind sie keine Garantie dafür, dass künftige Digitallösungen visionär und kreativ entwickelt werden. (Und übrigens: Wie bekommen Dienstleister ihre erste Chance, wenn Referenzen notwendig sind, um den ersten Auftrag zu erhalten?)

Wasserfall-Projekte und Werkverträge verstärken das Problem 

In der Privatwirtschaft setzt sich bei Ausschreibungen immer mehr durch, dass agile Softwareentwicklung ein passendes Instrument ist, um kreative Digitallösungen zu realisieren und dadurch wirklich Neues im Markt zu platzieren und iterativ weiterzuentwickeln. Dabei verschiebt sich das Paradigma in der Leistungserbringung: Das zu erbringende Werk an sich ist austauschbar, aber der kreative Realisierungsprozess, das kontinuierliche und schnelle Weiterentwickeln, das Arbeiten mit Daten für eine schnelle Rückkopplung von Feedback in die Produktweiterentwicklung sind das eigentliche Asset. 

Ein festes Team aus Entwickler:innen und effiziente Prozesse über einen verabredeten Zeitraum sind daher viel effektiver in der kreativen Entwicklung neuer Lösungen als die Ausschreibung von projektbasierten Werkverträgen. Obwohl die Erkenntnis in der Entwicklungsszene ein alter Hut ist, zeigt der IT-Rat der Bundesregierung im Dezember 2020 eindrucksvoll, dass in der Öffentlichen Verwaltung oft noch das alte Wasserfall-Denken dominiert: Ursprünglich war die Modernisierung der IT-Systeme der Bundesregierung bis 2022 bzw. 2025 geplant, jetzt spricht man von einer Verzögerung bis 2028. Dass die Modernisierung von IT-Systemen allerdings so gut wie niemals abgeschlossen ist, passt nicht ins Weltbild der dortigen Entscheider.  

Das bedeutet aus meiner Sicht: Etablierte Ausschreibungsprozesse haben bei standardisierten Anforderungen ihre absolute Berechtigung. Um allerdings kreative, neue Lösungen im Bereich der Softwareentwicklung zu etablieren, braucht es mehr Mut bei Ausschreibungen.

Mut haben, Ziele in den Fokus zu nehmen

Auftraggeber sollten für zukunftsgewandte Lösungen keine konkreten Leistungskataloge ausschreiben.  Ich halte es für zielführender, klare Problemstellungen zu definieren und Ziele zu formulieren. So werden potenzielle Anbieter gezwungen, sich mit einer Lösungsskizze zu bewerben und zu begründen, wie sie ein Problem für die User in der Zukunft lösen wollen. In den Fokus rücken dadurch kreative Ideen und eine Diskussion darüber, mit welchen Methoden und welchem Ressourceneinsatz man diese Ziele erreichen kann. Es zählen dann nicht mehr die Lorbeeren von müde gewordenen Platzhirschen aus der Vergangenheit, sondern Ideen und Innovationen - egal ob von etablierten Anbietern oder junger Angreifern.

Mut haben, einem Team zu vertrauen 

Auftraggeber sollten keine Lastenhefte ausschreiben, sondern für digitale Innovationen interdisziplinäre Teams suchen, denen sie vertrauen, ihre Probleme mit digitalen Mitteln zu lösen. (In meinen Augen ist die Interdisziplinarität besonders wichtig, da sie einen diversen Blick auf Fragestellungen ermöglicht.) Es macht einen großen Unterschied in der Realisierung neuer Themen, ob ein Team voll mit der Problemstellung vertraut ist und sich mit dem Auftraggeber und seiner Kultur identifiziert. In der Arbeit mit festen und gut vernetzten Teams entsteht Vertrauen. Durch Vertrauen entsteht eine starke und effiziente Leistungskultur. Wenn feste Teams und die Bereitschaft zur agilen iterativen Softwareentwicklung zusammenkommen, entsteht ein Ökosystem, welches fortlaufend Ergebnisse produziert. 

Nach unserer Erfahrung ist dieser Weg das beste Mittel, um Produkte in den Markt zu geben, die kontinuierlich verbessert werden, ohne dass jede Iteration einzeln ausgeschrieben werden muss. 

Daher, bitte liebe Verwaltungen: Sucht bei Ausschreibungen für neue digitale Lösungen verlässliche und kreative Teams und listet keine Lösungswege auf. Formuliert das Ziel und verabschiedet euch von dezidierten Leistungskatalogen. 

Denn das ist sicher: Wenn das Ziel klar ist, der Weg dahin jedoch offen, dann entsteht ein kreativer Wettbewerb um den besten Lösungsweg. Das Ergebnis eines solchen Ansatzes werden relevante digitale Produkte sein, die einen deutlich höheren Wertbeitrag leisten als sie kosten.

Autor

Milan Antonijevic

Milan Antonijevic

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